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Channel: Kolumnen und Glossen Archive - Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Scheibes Glosse: Qual der Wahl

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Jeden Morgen habe ich das gleiche Problem: Was ziehe ich eigentlich an? Seit meine Mama mir nicht mehr rauslegt, was ich anziehen soll, also seit mehreren Generationen, muss ich selbst die Entscheidung treffen. Das Problem ist nur: Meine Kleidung scheint mit den Jahren zu schrumpfen. Manche Sachen passen mir einfach nicht mehr so recht. Das mit den Klamotten ist so eine Sache. Schuhe fallen mit der Zeit auseinander. Jeans werden fadenscheinig.

Und die Socken entwickeln Löcher, da könnte ein mutiger Hamster mit einem Salto hindurchspringen. Da muss ich mich durchaus alle paar Jahre einmal von den liebgewonnenen Klamotten trennen, auch wenn es wirklich wehtut.

Pullover, T-Shirts, Hemden und Pullover aber, die gehen einfach nicht kaputt. Und warum soll ich etwas wegwerfen, was noch gut aussieht, nur weil es schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat? Also wird alles in den Kleiderschrank gestopft. So lange, bis nach physikalischen Regeln eigentlich so viel Druck aufgebaut wird, dass sich Baumwolle in Diamanten verwandelt. In Kleiderschranktiefen, in die ich längst nicht mehr vordringe.

Man weiß ja nie. Ich bin mir sicher, dass das rosafarbene T-Shirt, das Hemd mit den großen Flamingos und der Pullover aus Samt irgendwann noch einmal wieder in Mode kommen. Auch meine als Jungspund auf lauten Live-Konzerten gekauften Band-Shirts behalte ich, auch wenn meine Kinder die Namen der Bands noch nie in ihrem Leben gehört haben.

In der Regel habe ich im Alltag aber meine absoluten Lieblingssachen, die ich immer wieder neu anziehe, sobald sie aus der Wäsche kommen. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass ein kleiner Wäschekorb voller Klamotten eigentlich völlig ausreicht, um angemessen angezogen durch das gesamte Leben zu kommen.

Aber manchmal kommt es eben doch zu Ereignissen, da muss ich den Schrank weit öffnen, um Schicht für Schicht in lange nicht begutachtete Tiefen vorzudringen. Das ist meist dann der Fall, wenn es um einen „feinen“ Event geht. Um Empfänge, Geburtstage, Beerdigungen. Bei bestimmten Anlässen reicht das gerippte Kohlenträger-T-Shirt eben einfach nicht aus. Und selbst das blaue Kann-man-immer-tragen-Polo muss dann eben doch einer besseren Textilie weichen.

An der Auswahl kann es nicht liegen: Der Schrank ist voll. Unzählige Shoppingtouren in den Outlet-Zentren dieser Welt haben dafür gesorgt, dass ich ab und an ein Shirt aus dem Schrank ziehe, dass ich vorher noch nie im Leben angezogen habe. „Warste wieder einkaufen im Dach?“, fragt dann meine Frau, die neidisch ist, weil sie solche Funde in ihrem Schrank eben nicht machen kann.

Das Problem bei Hemden oder Polo-Shirts, die ich neu im Schrank entdecke, ist aber das – sie passen oft nicht mehr. Viele Dinge, die ich bereits „knirsch“ passend im Laden gekauft habe, weil ich mir völlig sicher war, dass ich in meinem weiteren Leben eher abspecken werde als zuzunehmen, kleben an mir auf einmal wie ein Taucheranzug aus Neopren. Dann muss ich verzweifelt versuchen, alle Knöpfe rechtzeitig wieder zu öffnen, bevor ich wegen Sauerstoffmangel in Ohnmacht falle. Vielleicht ist es aber auch so, dass Kleidungsstücke mit den Jahren einfach schrumpfen und kleiner werden. Da könnte eine wissenschaftliche Entdeckung hinter der Beobachtung stehen. Es könnte ja eine biologisch fundierte Faserverkürzung geben, die noch nie jemand zuvor beschrieben hat. Oder ich habe doch ein breiteres Kreuz bekommen. Weil ich mit dem Alter immer männlicher werde. Testosteron oder so.

Ich trenne mich aber von meinen alten Dingen nicht, ich habe noch Hoffnung. Gerade die in den USA gekauften Shirts und Hemden kann ich nicht aufgeben. Da steht nämlich ein cooles und dünn wirkendes XL im Kragen, weil die Amerikaner doch ein klein wenig toleranter sind in ihrer Größenbeschreibung. Während mir eine deutsche XL Schnappatmung verschafft, sorgt eine amerikanische XL immerhin noch für eine angenehme Frischluftzufuhr.

Das Ärgerliche ist, dass mein Schrank nicht sortiert ist. Zu klein ausfallende XL-Klamotten liegen auf einem Stapel mit zu groß geschnittenen XXL-Anziehsachen. Brauche ich das besondere Stück für einen besonderen Anlass, dauert das Anprobieren viel zu lange. Und so nehme ich mir vor, meinen Schrank in Zukunft neu zu sortieren. Die neuen Kriterien lauten:

# Dünn wie ein Hering nach sechs Monaten Paleo-Diät und einem Anfall von Fitnesswahn.
# Passt wieder nach drei Wochen Grippe ohne feste Nahrungsaufnahme.
# Komisch, dass ich immer wieder bei diesem Gewicht lande, wo mir die Hälfte meiner Sachen einfach nicht passt.
# Auswahl der XXL-Sachen nach einem faulen Urlaub mit All-inclusive-Verpflegung und zu vielen Cocktails. (CS)

Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 186 (9/2021).

Der Beitrag Scheibes Glosse: Qual der Wahl erschien zuerst auf Unser Havelland (Falkensee aktuell).


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